Radolfzell: Mit Handicap kann man nicht einfach ins Wasser springen: Sie will Barrieren in Bädern abräumen | SÜDKURIER

2022-08-12 11:09:29 By : Mr. zhang jian

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In ihrem Liegerad kurvt Gaby Fezer durch Radolfzell. Souverän fährt sie die Kuppe zum Eingang des Seebads hinunter und parkt ihr Rad nahe des Eingangs rückwärts ein. Ihr Gefährt ist ein sportliches, elektrisch angetriebenes Liegerad, kein Spezialrad für Menschen mit Handicap. Steht sie aus ihrem Liegerad auf, braucht sie einen Stock, um sich fortbewegen zu können. Gaby Fezer (57), die neue Inklusionsbeauftragte der Stadt, sagt: „Ich will keinen Rollstuhl, für mein Trike bekomme ich keinen Zuschuss, das muss ich selbst bezahlen.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Behinderung kostet.“ Geld und Kraft.

Kämpfen und nicht alles hinnehmen, das prägt das Leben von Gaby Fezer, seit sie – vorher gesund und sportlich – im Februar 2017 beim Langlauftraining der Undine „wie aus heiterem Himmel“ zusammengebrochen war. Sie bezeichnet die Diagnose Gehirnblutung mit halbseitiger Lähmung als Ironie des Schicksals: „Zu diesem Zeitpunkt habe ich in Winterthur ein Tageszentrum für Menschen mit Hirnverletzungen geleitet.“

Fezer hat in Reutlingen Sozialarbeit studiert und an der Uni Innsbruck noch eine Zusatzausbildung zur systemischen Beraterin im Bereich Personal und Organisation absolviert. Diese Ausbildung und dieses Wissen hätte sie in gewisser Weise auch durch die schwere Zeit der Therapien getragen und ihr geholfen, auch Auseinandersetzungen mit Behörden und Einrichtungen auszuhalten.

Nach dem Aufenthalt in der Intensivstation der Schmieder Kliniken habe sie drei Monate in Krankenhäusern und Rehakliniken verbracht. „Eine Prognose bekam ich nicht, nur therapeutische Unterstützung.“ Eine Ursache für die Gehirnblutung sei bis heute nicht gefunden. Damit stehe sie nicht allein: „Das ist in zehn bis 20 Prozent aller Fälle so“, sagt Gaby Fezer.

Viele Menschen mit Handicap fühlen sich beim Ausfüllen der Formulare und Verstehen der Bescheide von Behörden allein gelassen. Gaby Fezer schüttelt den Kopf, wenn sie über ihre Erfahrungen spricht. Die Gesundheitsbehörden hätten ihr nur einen Behindertengrad von 50 Prozent zugesprochen. Aber die Erlaubnis, einen Behindertenparkplatz zu benutzen, bekomme man erst mit 80 Prozent. „Also habe ich den Klageweg gegen das Land Baden-Württemberg beschritten“, sagt Gaby Fezer.

Weder nach ihrem Antrag, noch vor Gericht habe sie ein Amtsarzt sehen wollen. „Alles ist aufgrund der Aktenlage entschieden worden.“ Vor dem Sozialgericht habe sie sofort die 80 Prozent zugesprochen bekommen. „Meine Behinderung war ja augenscheinlich.“ Diesen Klageweg zu beschreiten und durchzuhalten, „das schaffen nicht alle, da fallen zwei Drittel hinten runter“, glaubt Gaby Fezer. So gäbe es sicher viele Menschen mit Handicap in Radolfzell, die wahrscheinlich einen wesentlich höheren Behinderungsgrad hätten, als die Gesundheitsämter ihn ausweisen würden.

Da will Gaby Fezer in ihrer neuen Rolle Menschen mit Behinderung helfen und Bewusstsein für ihre Sorgen und Nöte schaffen. Nötig sei es. Sie habe sich zum Beispiel wegen einer barrierefreien Wohnung oder barrierefreiem Bauen an die Stadt Radolfzell gewandt und auch einen Antrag auf einen Härtefall abgegeben. Das Resultat aus ihrer Sicht: „Keiner war zuständig.“ Das habe sich unter dem neuen Oberbürgermeister Simon Gröger geändert. Er habe in der Organisation die neue Stabstelle „Partizipation und Inklusion“ ausgewiesen.

„Jetzt wird das Thema wahrgenommen und bekommt die Beachtung, die es braucht“, sagt Gaby Fezer. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation seien 15 Prozent aller Menschen behindert. Für Radolfzell umgerechnet seien das weit über 4000 Menschen. Deutschland und die Stadt Radolfzell habe in diesem Bereich viel aufzuholen: „Inklusion umfasst viel mehr als Bauen und Wohnen, es bedeutet Teilhabe und Teilnahme am politischen, kulturellen und sozialen Leben.“

Für Gaby Fezer ist es wichtig, in diesen Themen konkret zu werden. Deshalb werden nach einer Satzungsänderung der Behindertenbeirat Inklusionsbeirat und sie dann Inklusionsbeauftragte heißen. In einem ersten Schritt sei sie an die Stadtverwaltung herangetreten, um die Situation von Menschen mit Beeinträchtigung in den Bädern zu ändern. Selbst im neuen Seebad ist nicht alles so, wie sich das Menschen mit Handicap vorstellen: „Die Rampe vom Eingang hinunter ist ziemlich eng und mit der Kurve ziemlich steil.“ Und wo mündet sie? Im Kiesbett. Da bleibt ein Rollstuhl stecken und ein Stock findet keinen Halt.

Der Kies und der flache Einstieg sind ein häufiger Hinderungsgrund, warum Menschen mit Handicap in Radolfzeller Bädern nicht ins Wasser können. „Wir brauchen einen festen Untergrund, um möglichst schnell ins Tiefe zu können.“ Es müsse nicht immer die große Lösung sein, häufige fehle auf Stegen ein Handlauf auf beiden Seiten oder einer in der Mitte. Auch auf dem Steg im Mindelsee böte sich eine einfache Lösung an: „Hätten wir dort eine Treppe statt einer Leiter, wäre uns schon viel geholfen.“

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