Galerien - Julian Opie: Der Strich macht Männchen - Wiener Zeitung Online

2022-08-12 11:10:28 By : Mr. Tom Xu

Machen es sich in der Galerie Krobath gemütlich (links) oder warten auf bessere Zeiten (rechts): die Figuren von Julian Opie.

Diese Leute "parken". Eindeutig. Nein, nicht ihr Auto. Sonst würden sie das doch ohne Anführungszeichen tun. Vielmehr haben sie sich gemütlich in irgendeinem Londoner Park platziert, wo Julian Opie (Baujahr 1958) reichlich Gelegenheit hatte, sie zu beobachten, zumal er im vorigen Sommer eigenen Angaben zufolge in seiner Geburts- und nach wie vor Heimatstadt "festgesessen" ist.

Nicht, dass er ein Spanner wäre, er ist natürlich ein Künstler. Bildhauer, Maler, und Videos macht er obendrein. Animationen. Und diesmal war sein Plan, wie er im Text zur Ausstellung schreibt, die Galerie Krobath "so mit Figuren zu bevölkern, als wäre sie ein öffentlicher Park oder ein Warteraum". Das ist ihm sichtlich gelungen. (Moment, seit wann bedeutet parken: "sich in einem Park aufhalten"? Tja, spätestens seit – jetzt.) 

Überall Strichmännchen und –weibchen. Mit denen hat der Brite die Räumlichkeiten förmlich möbliert . Lässig lungern die entschlackten Zeichnungen aus schlanken Edelstahlrohren (poliert oder mit weißem Autolack beschichtet) herum, sitzen, liegen, sitzliegen. Kriechen auf allen vieren. Was freilich so simpel anmutet (ein paar zurechtgebogene Linien halt), ist in Wahrheit ziemlich komplex. Der Weg zur ultimativen Einfachheit, zur grafischen Verwesentlichung, zur Essenz der Körperhaltung (und Opie hat es im fast plakativen Reduzieren inzwischen immerhin zu einer Meisterschaft gebracht), war hier jedenfalls kein geradliniger. Sondern einer mit diversen Umleitungen. Sogar mit einem Abstecher in die Virtual Reality. Mit VR-Brille.

Aus dem Leben gegriffen: Julian Opies "Figure 2, position 4" (2022) aus poliertem Edelstahl.

Zuerst war aber wie immer die Feldforschung dran. Die Recherche in freier Wildbahn. Überhaupt sind die Motive des Absolventen der Goldsmiths School of Art üblicherweise unmittelbar aus dem urbanen Flow gegriffen. Passanten, die an ihm vorüberschreiten oder die kurz an einer Ampel stehenbleiben, ungeduldig bis zur nächsten Grünphase innehalten. Oder eben freizeitende Menschen, auf einer Wiese zu Grüppchen arrangiert, die ihn "an Manets berühmtes Bild" erinnert haben.

Manets berühmtes Bild? Da kann ja nur "Das Frühstück im Grünen" gemeint sein, das einstige Skandalgemälde des Impressionisten, das 1863 für die Juroren des Pariser Salons zu aufregend war, um es freiwillig auszustellen. Zumindest haben sie sich über die Nackerte, die mit zwei Herren im Anzug picknickt, während eine andere im Gewässer dahinter plantscht (solches allerdings vergleichsweise züchtig im Unterkleid), dermaßen aufgeregt, dass es lediglich für eine Präsentation im Salon des Refusés, dem Salon der Zurückgewiesenen, gereicht hat.

Dabei hat Manet seine kompositorische Vorlage, einen Nebenschauplatz in Raffaels "Urteil des Paris", dieser Muskelfleischorgie, doch eh anständiger gemacht, nämlich wenigstens die zwei Flussgötter , die mit der Nymphe etwas abseits vom Geschehen am Ufer lagern und ihre athletischen Leiber vorteilhaft in Szene setzen, mit Textilien bedeckt. Okay, genau genommen hat Manet nicht das Original des Renaissance-Meisters gekannt, bloß den danach angefertigten Kupferstich von Marcantonio Raimondi, und auf diesem schwellen einem die Sixpacks und Bizepse gar noch expliziter entgegen.

Von Manets "Nymphe", die einen direkt anstarrt, fühlt man sich regelrecht ertappt. Als Voyeur. Oder als Voyeur-in. (Nun ja, Betrachter und –innen sind Spechtler und –innen.) Opie hat es hingegen vermieden , sich als solcher zu outen. Mit einem Täuschungsmanöver. Hat beim Fotografieren im Park so getan, als würde er ein SMS tippen. 

Die authentischen Posen der anonymen Personen hat er nachher im Atelier mit bekannten Personen nachgestellt. Ihm bekannten. Bzw. mit einer Verwandten (konkret: seiner Tochter Imogen) und drei von deren Freunden. In sommerlicher Kluft.

Wie Manet hat er also quasi auch auf eine Kopie zurückgegriffen. Und diese noch dazu erneut durch den fotografischen Blick gefiltert, jede Menge Aufnahmen von allen möglichen Ansichten gemacht, bevor sein Versuch gescheitert ist, mit wenigen markanten Strichen die jeweilige Position zu charakterisieren, das spezifische Verhältnis der Gliedmaßen zueinander zu erfassen und die Masse mit Leichtigkeit auf den Punkt zu bringen, auf den Schwer punkt (die Verzerrungen auf den Fotografien waren schuld), woraufhin die Körperdoubles mittels iPhone-App eingescannt wurden. Klassisch (die Arbeit mit leibhaftigen Modellen) und zugleich modern (der Umgang mit diesen).

Faulenzen wie die Londoner in ihren Parks: "Figure 3, position 9." Definitiv keine Yoga-Position. Julian Opie zeichnet hier mit Stahlrohren.

"Trotzdem war es schwierig, und ich musste mehrmals meine AssistentInnen bitten, meine Zeichnungen in 3D-Computermodelle umzuwandeln, die ich dann im Raum drehen und positionieren konnte." Und die er mit der VR-Brille begutachten konnte. Bei der Übersetzung dieser virtuellen Skulpturen in die reale Welt wiederum, bei ihrer Materialisierung in der greifbaren Wirklichkeit, waren plötzlich das Sperrholz und die Aluplatten, die Opie bisher verwendet hatte (für seine beinah schablonenhaften skulpturalen Zeichnungen, die sich jedoch in einer Ebene abgespielt hatten), zu eckig, hatten die Holzbalken auf einmal zu viele Kanten für die anspruchsvolleren Richtungswechsel. Drum hat er sich für schmale Rohre entschieden, wie sie einem im öffentlichen Raum ebenfalls dauernd begegnen (als Handlauf bei einer Stiege zur U-Bahn, als Anlehnbügel und Ständer für Fahrräder . . .). Sehr passend somit.

An sich flache Skulpturen (Fläche = was Zweidimensionales), die sich in die dritte Dimension, in den Raum hineinknicken, -falten und –runden. Andererseits ist die Linie, aus der sie entwickelt sind, aber recht dick für ein angeblich eindimensionales geometrisches Gebilde ohne Querausdehnung. Ist selber bereits in 3D. Alles in allem eine raffinierte Verflechtung der drei Dimensionen. 

Die Figuren gibt es übrigens in drei verschiedenen Größen: lebensgroß, etwas handlicher (handgepäcktauglich sozusagen, auf ein Corian-Podest montiert, das frappante Ähnlichkeit mit einer Yogamatte hat) und eine Mini-Version in einer Art Zündholzschachterl, das sowohl als Transportbox dient als auch nach dem Auspacken als praktischer Sockel. (Grenzgenial.)

Für die "Figure 1, position 11" von Julian Opie heißt's bitte warten, bitte warten, bitte warten . . .

Hat man keine Angst, dass irgendwer Letztere kurzerhand – schwupps! – im Hosensack verschwinden lassen könnte? I wo. Die ist sowieso gratis. Dabei handelt es sich schließlich um die Einladung zur Ausstellung. (Auf dem Schachterl sind die wichtigsten Daten notiert. Wer, was, wann, wo.) Opies aufwändige und nicht grad gewöhnliche Einladungen sind ja mittlerweile legendär. Und begehrte Sammlerstücke. Karten mit 3D-Effekt, nippesgroße Pappkameraden und –kameradinnen . . . – im vorliegenden Fall ist 3D freilich definitiv kein Effekt. Sondern Realität. Ein Kartonquader mit Länge, Breite und Tiefe. Und darin: das Draht-Mini-Me eines Stahl-Unikats.

Kurze Hosen, T-Shirt, Kleiderl – bei allem Minimalismus ist selbst das luftige Outfit angedeutet, artikuliert sich die Liebe zum augenfälligen Detail. Nackt ist in der Galerie höchstens der alltagsgraue Boden. Weil niemand einen grasgrünen Teppich verlegt hat, einen Kunstrasen. Zwecks landschaftlicher Umgebung. Wobei die drei Einzelgänger, die weniger geselligen Exemplare, die wie Autos lackiert und zwischen Boden und Wand geklemmt sind, sich an Letztere stützend anlehnen, eigentlich Indoor-Stellungen einnehmen. No na. Oder hat eine Wiese Wände? Inspirationsquelle waren da sessellos ausharrende Passagiere auf dem Flughafen. Hochaktuell. (Stichwort: gecancelte Flüge.) Das Gepäck muss man sich halt dazudenken. Originell und zackig: der Wandhocker, der wie bei dieser Übung für Knack-Popo und Beine vor der Wand in die Hocke geht und das gesichtslose Ringerl, das sein Kopf ist, lose auf den Händen balanciert. 

Hier Naherholungsgebiet, dort Wartehalle: Die Übergänge sind fließend. Zwischen faulenzendem Verweilen und strapaziöser Warterei. Irgendwie hat man das Bedürfnis, sich dazuzuknotzen, dazuzulümmeln. Teil vom entspannenden Ganzen zu werden.

Boy meets Girl. Aber brav mit Social Distancing. Julian Opies "Suit" (rechts) und "Cardigan" (links), beides aus dem Jahr 2021 und aus Holz (und noch flach).

Und wohin führen die zwei Stufen? Ins Hinterkammerl. Zu zwei frontalen Steh-Figuren aus Holz. Einem stattlichen 1,80-Meter-Mann im Anzug ("Suit") und einer Strickjacke tragenden 1,73-Meter-Frau ("Cardigan"), die mit ihren Blicken die soziale Distanz zwischen sich überbrücken, sich ansehen. Und das, obwohl sie nicht einmal Augen besitzen . Über eine Rückseite verfügen sie, nebenbei bemerkt, genauso wenig. Sondern? Was haben sie denn dann hinten? Eine zweite Vorderseite. Eine spiegelverkehrte. Zwischenmenschliche Spannung knistert.

Eine entschleunigende Schau, die das Auge (die Besucher haben ja so was) weder überanstrengt noch unterfordert.

Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr